Europa und wir

In loser Reihenfolge berichtet Martin Böhme, Geschäftsführer der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, in dieser neuen Rubrik über Themen aus Europa, die für die Ingenieurinnen und Ingenieure von besonderer Relevanz sind. Der Autor vertritt als Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten die Bundesingenieurkammer in Brüssel und ist Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, einer beratenden Institution der Europäischen Union.

7. Folge - Europawahlen 2024: Durch Reformen Demokratie und Rechtsstaat stärken

Die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 werfen nicht nur die Frage auf, wer die zukünftige politische Landschaft der EU gestalten wird, sondern auch, wie die Europäische Kommission mit den auf uns zukommenden Herausforderungen umgehen wird. Während die EU in den vergangenen Jahren unter anderem mit der COVID-19-Pandemie und dem Brexit konfrontiert war, stehen wir nun vor einer neuen Phase, die ebenfalls von einer Reihe drängender Fragen geprägt sein wird.

Eine der zentralen Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, ist die Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche und eröffnet sowohl Chancen als auch Herausforderungen für Unternehmen und Arbeitnehmer. Es ist entscheidend, dass die EU politische Rahmenbedingungen schafft, die es kleinen und mittleren Unternehmen und Freien Berufen ermöglichen, von den Möglichkeiten der Digitalisierung zu profitieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass der digitale Wandel inklusiv und gerecht ist.

Eine weitere wichtige Herausforderung ist die Bewältigung des Klimawandels und die Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung. Die EU hat ehrgeizige Ziele im Rahmen des Green Deals gesetzt, aber es bedarf weiterer Anstrengungen, um diese Ziele zu erreichen und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu beschleunigen. Dies erfordert nicht nur Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Infrastruktur, sondern auch die Förderung von umweltfreundlichen Technologien und Geschäftsmodellen. Zentral dabei wird sein, die Menschen in Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen.

In diesem Zusammenhang muss die EU den sozialen Zusammenhalt stärken und sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird. Der demografische Wandel und die steigende Ungleichheit stellen ernsthafte Herausforderungen dar, denen wir begegnen müssen. Dies erfordert Maßnahmen zur Förderung von Bildung, Ausbildung und lebenslangem Lernen, um die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu verbessern und den Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten sind auch zentrales Interesse der Ingenieurinnen und Ingenieure.

Die Beendigung des Krieges in der Ukraine stellt eine der drängendsten Herausforderungen für die EU dar. Die Unterstützung der Ukraine ist von entscheidender Bedeutung, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch, um die Stabilität in der Region zu gewährleisten. Die Lage in der Ukraine bleibt prekär, und die EU muss weiterhin diplomatische, militärische und politische Bemühungen verstärken, um eine Lösung des Konflikts zu erreichen und die territoriale Integrität der Ukraine zu gewährleisten.

Es bleiben zudem viele interne Herausforderungen. Eine Reform der EU-Institutionen ist unerlässlich. Die EU muss ihre Entscheidungsprozesse effizienter und transparenter gestalten und sicherstellen, dass sie besser in der Lage ist, auf die Bedürfnisse und Anliegen ihrer Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Dies erfordert möglicherweise eine Überprüfung der bestehenden institutionellen Strukturen und eine Anpassung der EU-Verträge, um die EU funktionsfähig zu halten und für die Zukunft zu stärken. Darüber hinaus muss die EU sicherstellen, dass sie weiterhin die Grundwerte und Prinzipien fördert, auf denen sie gegründet wurde, einschließlich der Achtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Nur so kann die EU ihre Rolle als globaler Akteur effektiv weiterentwickeln.

In diesem Kontext kommt dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) eine entscheidende Rolle zu. Als beratendes Gremium der EU vertritt der EWSA die Interessen der Zivilgesellschaft und spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der EU-Politik. Insbesondere hat der EWSA in den letzten Jahren eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, um die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern, den sozialen Zusammenhalt in der EU zu stärken und der Stimme der Zivilgesellschaft Gehör zu verleihen.

Der EWSA hat Hunderte von Stellungnahmen zu einer Vielzahl von politischen Themen abgegeben, darunter auch zu Fragen der Digitalisierung, des Klimawandels und der Freien Berufe. Diese Stellungnahmen dienen als wichtige Grundlage für die Politikgestaltung der EU und tragen dazu bei, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft angemessen berücksichtigt werden.

In diesem Zusammenhang sind auch die Freien Berufe von großer Bedeutung. Ingenieurinnen und Ingenieure tragen allen voran dazu bei, Innovationen voranzutreiben, die Infrastruktur zu verbessern und damit die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie benötigen eine Politik, die ihre Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dazu gehören in erster Linie Maßnahmen zur Reduzierung von Bürokratie durch eine Vereinfachung von Ausschreibungen und von Vorschriften, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sowie die Regulierung und Förderung von Ausbildung und Weiterbildung.

Die EU und ihre Institutionen stehen vor großen Herausforderungen, aber auch Chancen. Mit den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und der Neubildung der Europäischen Kommission haben die Bürgerinnen und Bürger der EU die Möglichkeit, die Zukunft Europas mitzugestalten und sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen und Interessen aller europäischen Bürgerinnen und Bürger gerecht wird.

6. Folge - EU: Neue Bauproduktenverordnung soll Harmonisierung von Normen beschleunigen

Mitte Dezember 2023 wurde in Straßburg ein entscheidender Meilenstein für die Planungs- und Baubranche erreicht, der insbesondere für Ingenieurinnen und Ingenieure von hoher Relevanz ist. Nach anspruchsvollen Verhandlungen zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament wurde die Überarbeitung der EU-Bauproduktenverordnung beschlossen, ein Schritt von großer Bedeutung für die Gestaltung und Normung von Bauprodukten in Europa.

Die Neuerungen konzentrieren sich auf essenzielle Aspekte wie die CE-Kennzeichnung, harmonisierte Test- und Prüfverfahren sowie spezifische Anforderungen für über 700 verschiedene Bauprodukte. Von Ziegelsteinen bis hin zur Wärmedämmung deckt die Verordnung ein breites Spektrum ab und zielt darauf ab, die Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit von Bauprodukten zu gewährleisten.

Für Ingenieurinnen und Ingenieure steht die Beschleunigung der Normung von Bauprodukten im Vordergrund. Die klaren Vorschriften zur Erstellung neuer Normen sowie zur transparenten Kommunikation aller am Normungsprozess Beteiligten sind für die Branche von herausragender Bedeutung. Ein spezifischer Arbeitsplan für die Kommission soll sicherstellen, dass zukünftig schneller ein CE-Zeichen für ihre Produkte erteilt wird, was insbesondere für die reibungslose Vermarktung und den Einsatz innovativer Produkte von Bedeutung ist.

Die Reform stellt nicht nur einen Schritt in Richtung harmonisierter Standards dar, sondern ebnet auch den Weg für die Digitalisierung der Baubranche. Die Einführung des „Digitalen Produktpasses“ ermöglicht Ingenieurinnen und Ingenieuren den digitalen Zugriff auf Produktinformationen, beispielsweise direkt auf der Baustelle über ein Smartphone.
Nach der Überarbeitung und Übersetzung des Verordnungstextes in die 24 Amtssprachen der EU steht die formelle Annahme des Verhandlungsergebnisses durch das Parlament und den Rat bevor. Die Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt wird bis zum Sommer 2024 erwartet.

Die Bundesingenieurkammer hatte sich über den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss direkt mit ihren Positionen an den Beratungen beteiligt. Die vollständige Stellungnahme CCMI/197 ist hier abrufbar.

5. Folge - 29.08.23: Holz: ein nachhaltiger Baustoff 

Der Holzbau wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle für Ingenieurinnen und Ingenieure spielen. Nicht nur wegen seiner Nachhaltigkeit, sondern auch aufgrund seiner strukturellen Stärke und Ästhetik. In der EWSA-Stellungnahme CCMI/205 wird betont, dass der Holzbau eine bedeutende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele spielen kann, indem er den CO2-Fußabdruck von Gebäuden reduziert.

Ingenieurinnen und Ingenieure werden in der Lage sein, die Vorteile des Holzbaus zu nutzen, um eine neue Generation von Gebäuden zu entwerfen und zu bauen, die nicht nur umweltfreundlicher sind, sondern auch eine höhere Lebensqualität bieten. Mit innovativen Technologien wie dem Einsatz von Holzverbundstoffen und digitalen Planungswerkzeugen können Ingenieurinnen und Ingenieure die Effizienz und Widerstandsfähigkeit von Holzkonstruktionen weiter verbessern.

Insgesamt wird der Holzbau eine Schlüsselrolle bei der Schaffung einer nachhaltigen und zukunftsfähigen gebauten Umwelt spielen. Ingenieurinnen und Ingenieure werden in der Lage sein, ihre Fähigkeiten und ihr Fachwissen einzusetzen, um die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen und gleichzeitig ästhetisch ansprechende und funktional ausgeklügelte Gebäude zu schaffen.

Sehen Sie hier die EWSA-Stellungnahme CCMI/205 ein.

4. Folge - 15.05.23: Virtuelle Welten werden auch Planungssektor verändern

Das Metaverse hat das Potenzial, den Bauplanungsbereich grundlegend zu verändern. Indem es Ingenieurinnen und Ingenieuren ermöglicht, virtuelle Welten zu erstellen und zu erkunden, können sie Planungen präziser testen und in Echtzeit anpassen. Das bedeutet weniger Kosten und eine schnellere Entwicklung von Projekten.

In der EWSA-Stellungnahme CCMI/206 wird die Bedeutung des Metaverse für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas betont. Durch die Förderung der Entwicklung von Technologien und Standards für das Metaverse kann Europa seine Position im Bereich der Bauplanung stärken und neue Geschäftsmöglichkeiten schaffen. Die Verwendung von virtuellen Welten bietet auch die Möglichkeit, die Nachhaltigkeit von Projekten zu verbessern, indem Material- und Energieverbrauch simuliert werden können. Das Metaverse könnte daher ein wichtiger Bestandteil einer klimafreundlicheren Zukunft sein.

Sehen Sie hier die die vollständige EWSA-Stellungnahme CCMI/206 ein.

3. Folge - 27.10.22: EWSA zur Reform der EU-Bauproduktenverordnung

Die heterogene Situation auf dem Markt für Bauprodukte in der EU trägt zu Unsicherheit bei Planerinnen und Planern, zu Preissteigerungen und zu Engpässen in der Verfügbarkeit bei. Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unter der Leitung von Martin Böhme die Stellungnahme CCMI/197 „Harmonisierte Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten“ erarbeitet. Der EWSA betrachtet das Ziel eines einheitlichen europäischen Binnenmarkts für Bauprodukte als wünschenswert. Es wird jedoch festgestellt, dass die EU-Bauproduktenverordnung fortzuentwickeln ist. Die mit der Verordnung verbundenen Verfahrensabläufe, insbesondere hinsichtlich der Normung und der Definition von Schnittstellen zu nationalen Anwendungsnormen, sind zu verbessern und zu vervollständigen. Der Ausschuss betont, dass sichergestellt sein muss, dass alle Anforderungen/Leistungs-/Prüfmerkmale als harmonisierte Normen (hEN) von der Europäischen Kommission eingeführt sind. Die EWSA-Stellungnahme wird zur Beratung der politischen Akteure nun an EU-Parlament, Rat und Kommission weitergeleitet. Die vollständige Stellungnahme CCMI/197 ist hier abrufbar.  

 

2. Folge - 05.10.22: EWSA zur Stärkung der Freien Berufe

In einer seiner jüngsten Stellungnahmen, hat sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) für eine Stärkung der Freien Berufe ausgesprochen, um die EU-Ziele bei der Umsetzung der grünen und digitalen Transformation zu verwirklichen.

Die Stellungnahme INT/979 der Sektion Binnenmarkt trägt den Titel: „KMU, sozialwirtschaftliche Unternehmen, Handwerk und freie Berufe – Fit für 55“. Das Dokument können Sie hier herunterladen.

Der EWSA, als beratende Einrichtung der EU, fordert von den Institutionen unter anderem EU-weite Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten zur Förderung berufsständischer Regelungen zu veranlassen. Starke Berufsstandsorganisationen sollen dazu beitragen, die Umsetzung des grünen und digitalen Wandels voranzutreiben. Für den technisch-ingenieurwissenschaftlichen Bereich fordert der Ausschuss, die jeweils innovativsten Problemlösungen zu bevorzugen und positioniert sich damit klar für einen Qualitäts- und gegen einen reinen Preiswettbewerb.

1. Folge - 19.09.22: Freie Berufe 4.0 – Digitalisierung verändert die Anforderungen an den Ingenieurberuf

Die Ingenieurinnen und Ingenieure haben die Digitalisierung erfunden. Seitdem dringt der technisch-ingenieurwissenschaftliche Wandel immer stärker in alle Lebensbereiche vor. Der technische Fortschritt soll bei der Bekämpfung des Klimawandels helfen, die Übertragung von Aufgaben an künstliche Intelligenz dem Fachkräftemangel entgegenwirken, die regenerative Erzeugung großer Mengen von Energie ist eine Grundvoraussetzung, um das digitale Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft erst möglich zu machen. Ingenieurinnen und Ingenieure sind gefordert, alle diese Herausforderungen zu lösen.

Was hat das mit Europa zu tun? Europa muss die Voraussetzungen schaffen, damit Ingenieurinnen und Ingenieuren ihren Job machen können, also Rahmenbedingungen definieren, in denen sich kreative ingenieurwissenschaftliche Lösungen voll entfalten können.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat die Aufgabe die EU-Institutionen zu beraten, also Parlament, Kommission und Rat. Mit seiner Initiativstellungnahme „Freie Berufe 4.0“ greift der EWSA eine Vielzahl von wichtigen Weichenstellungen auf, die auf europäischer Ebene schnell umzusetzen sind, damit Ingenieurinnen und Ingenieure weiter erfolgreich an den großen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten können. Um nur einige zu nennen: Modernisierung und Anpassung des Berufsrechts, Harmonisierung gesetzlicher Mindestanforderungen im Baubereich, Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, den Stellenwert unabhängig fachlicher Expertise deutlich stärken.

Böhme - Europa und wir
Kammergeschäftsführer Martin Böhme ist Mitglied des EWSA und vertritt damit in Brüssel die Freien Berufe aus Deutschland.