Präklusionswirkung auch bei Nachprüfungsverfahren unterhalb der Schwellenwerte

1. Rechtliche Grundlage
Das Land Rheinland-Pfalz hat bei dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau zum 01.06.2021 eine zentrale Vergabeprüfstelle zur Überprüfung von Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte eingerichtet. Rechtsgrundlage ist die Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen vom 26. Februar 2021 (GVBI. S. 123).
Das Nachprüfungsverfahren ist als verwaltungsinternes Verfahren ausgestaltet.
Zwischenzeitlich liegen die ersten Entscheidungen der Vergabeprüfstelle vor.

2. Entscheidung zur Präklusion von Einwendungen
a) Sachverhalt:
In einem Vergabeverfahren beanstandete die Beschwerdeführerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Zur Begründung führte sie aus, dass die Bewertungsfaktoren der Auftraggeberin für das Angebot nicht nachprüfbar seien und nicht ersichtlich sei, auf welcher konkreten Grundlage die Bewertung überhaupt stattfinde. Zudem fehle für die angegebenen Bewertungsgrundlagen ein direkter Bezug zum Auftragsgegenstand. Die Auftraggeberin half der Rüge nicht ab. Zur Begründung verwies sie auf § 16 b VOB/A, wonach neben dem Preis und den Kosten auch die Qualität, die Organisation und Qualifikation des Personals sowie die Kommunikation und die Ausführungsfrist als Zuschlagskriterien berücksichtigt werden könnten. Auf dieser Grundlage würden die von ihr ausgewählten Zuschlagskriterien beruhen. Die Kriterien seien nicht willkürlich gewählt und überprüfbar.

b) Die Vergabeprüfstelle entschied, dass die zulässige Beanstandung nach § 10 Abs. 3 Nr. 3 NachprV unbegründet sei.
Die Beschwerdeführerin sei mit ihren im Beanstandungsschreiben vorgebrachten Rügen im Hinblick auf Fehler der Bewertungsmethodik und -matrix präkludiert. Sie hätte die Verstöße bis zum Ablauf der Angebotsfrist rügen müssen, nicht erst nach Erhalt der Vorabinformation. § 10 Abs. 3 Nr. 3 NachprV begründet eine Obliegenheit, Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, zu rügen. Eine solche Rüge soll den öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzen einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren. Erkennbar sei ein Vergaberechtsverstoß, wenn sich die zugrunde liegenden Tatsachen aus den Vergabeunterlagen ergeben und von einem Bieter der Verstoß gegen Bestimmungen des Vergabeverfahrens erkannt werden kann. Für die Erkennbarkeit ist auf die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Bieters abzustellen. Zwar müsse kein Rechtsrat eingeholt werden. Von jedem Unternehmen, das sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, könne aber erwartet werden, dass es die Vergabeunterlagen sorgfältig liest und auch den Text der einschlägigen Verfahrensordnungen zur Kenntnis nimmt. Werden dabei Ungereimtheiten oder Widersprüchlichkeiten erkannt, muss das Unternehmen ihnen nachgehen. Gerade während der Angebotserstellung müsse sich ein Bieter zwangsläufig mit der Bewertungsmethode und den einzelnen Zuschlagskriterien auseinanderzusetzen. Sonst könne er kein wirtschaftliches Angebot abgeben. Vorliegend seien die Verstöße offenkundig.
Die Beschwerdeführerin hätte die von ihr vorgebrachten Beanstandungen im Verfahren klären können und müssen.
Obwohl Verfahrensverstöße vorlagen, hatte die Beschwerdeführerin keinen Erfolg und muss die Kosten des Verfahrens tragen.

3. Fazit:
Auch das Nachprüfungsverfahren unterhalb der Schwellenwerte ist kein Amtsermittlungsverfahren. Bieter und Bewerber müssen die Vergabeunterlagen prüfen. Dies gilt auch in Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Planungswettbewerb zur Vergabe von Planungsleistungen. Alles was einem Bieter nicht sachgerecht oder unsinnig vorkommt und sodann nach der Lektüre der einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften und deren rechtslaienhaftem Verständnis als nicht vergaberechtskonform erscheint, kann als „erkennbarer" Verstoß qualifiziert werden.
Es muss rechtzeitig gerügt werden. Durch die auch unterhalb der Schwellenwerte geltenden Präklusionsvorschriften hat der Bewerber oder Bieter anderenfalls das Nachsehen.

gez. Dr. Dr. Stefanie Theis LL.M.
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
Fachanwältin für Vergaberecht

 

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