Jahresempfang der Wirtschaft 2023 in Mainz: Zeitenwende und deutsche Lebenslügen

Kammern im Dialog mit der Politik

Rund 3000 Gäste nahmen am 2. Februar am "Jahresempfangs der Wirtschaft" in der Rheingoldhalle in Mainz teil. 14 gastgebende Kammern und Institutionen der Wirtschaft, des Handwerks, der freien Berufe und der Landwirtschaft, darunter die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, hatten zum Dialog mit der Politik geladen. Als diesjähriger Ehrengast und Hauptredner wurde Dr. Peter Frey, ehemaliger, langjähriger ZDF-Chefredakteur und TV-Journalist, geladen, der einen unabhängigen Blick auf die aktuelle Krisenlage einnahm. Markus Appelmann, bekannt aus der Sat.1-Nachrichtensendung „17:30-live“, moderierte durch die Veranstaltung. Der Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Hans-Jörg Friese begrüßte im Namen aller Veranstalter die anwesenden Gäste und betonte, dass es sehr erfreulich sei, „endlich wieder vor so großer Kulisse zusammen zu kommen und so viele unterschiedliche Persönlichkeiten ins Gespräch bringen können.“ „Gerade jetzt brauchen wir den direkten Dialog mehr denn je“, so Friese.
Die Talkrunde war in diesem Jahr mit Malu Dreyer, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, Peter Hähner, Präsident der IHK Rheinhessen, Dr. Günther Matheis, Präsident der Landesärztekammer und Joachim Rind, Präsident der Architektenkammer, besetzt.

Podiumsdiskussion: Energiekrise

Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen hatte in seiner Eröffnungsrede die Frage gestellt: "Wie schaffen wir es, dass wieder ein Ruck durch die Gesellschaft geht? Wie schaffen wir wieder Mut und Zuversicht zu schaffen und diesen auch an unsere Mitarbeiter und auch an unsere Mitmenschen weiterzugeben?“
Dreyer betonte, dass es trotz der Energiekrise und der derzeitigen allgemeinen Krisenlage wichtig sei, als wirtschafts- und finanzstarkes Bundesland zuversichtlich in die Zukunft zu schauen und verwies darauf, dass Rheinland-Pfalz auch in vergangenen Krisen, wie der Corona-Pandemie, seine Standfestigkeit unter Beweis gestellt hat, was Mut gebe, dass auch die derzeitige Krise gut überwunden werden könne. Auch Matheis räumte ein, dass einzelne Arztpraxen durchaus Schwierigkeiten durch die Energiekrise haben und zusätzlich der Fachkräftemangel die Branche belaste, was durch die Erhöhung der Studienplatz-Kapazitäten von etwa 10% aufgefangen werden könne.
Auf die Frage, was gegen die drohende Abwanderung vieler Unternehmen ins Ausland, ausgelöst durch die hohen Energiekosten, getan wird, verwies Dreyer auf die nun bald greifende Energiepreisbremse sowie der Innovationsförderung zur sozial-ökologischen Transformation, zum Beispiel durch die Förderung von Wasserstoff-Projekten durch die IPCEI, eine gemeinsame europäische Initiative zur Förderung von wichtigen Vorhaben oder den von Bundeskanzler Scholz und ihr angestoßene Dialog mit der chemischen Industrie, bei dem es darum gehen wird, welche Schlüsselrolle die Branche bei der Erreichung der Klimaziele, durch Herstellung von grünem Wasserstoff, Batteriematerialien und Recycling-Prozessen, einnehmen kann. Appelmann fragte die Ministerpräsidentin, ob die Ampelregierung nun von ihrem Kurs, dass Deutschland bis 2040 klimaneutral sein soll, abweichen würde. Das verneinte Malu Dreyer entschieden und sagte, dass auch die Unternehmen verstanden haben, dass ein schneller Wechsel hin zu den erneuerbaren Energien nötig sei. Die Krise fungiere als Katalysator, die den Wandel noch schneller vorantreibe, so Dreyer.
Joachim Rind, Präsident der Architektenkammer, sagte im Hinblick auf die Energiekrise: „Die Bauwende ist nötig, der Bestandsbau muss vor dem Neubau priorisiert werden.“ Die Lebenszykluskosten und die Gesamtbilanz eines Gebäudes betrachtend, sei die Sanierung und der Umbau effizienter, da 80 Prozent aller Gebäude in Deutschland zu den älteren Gebäuden zählen.
Hähner sagte abschließend, dass die Krise nur gemeinsam in Zusammenarbeit mit den Bürgern, der Politik und der Industrie zu schaffen sei und auch Dreyer stimmte mit ein und sprach von „Zukunftsmut“ und der „Kraft der Vielen“, die erforderlich seien, um die Krise zu bewältigen.

Zeitenwende und deutsche Lebenslügen

„Unser Land bewegt sich in einer der schwierigsten Zeiten seit dem zweiten Weltkrieg. Wir stecken in sich überlagernden Krisen“ begann Dr. Peter Frey seine Rede und zählte die Flüchtlingskriese 2015/2016, die Corona-Pandemie und schließlich, den Angriffskrieg auf die Ukraine, den Inflationsanstieg und die sich zuspitzende Klimakrise auf. Doch weder der „Wutwinter“ durch die derzeitige Energiekrise habe sich bewahrheitet noch die Corona-Krise haben die Solidarität in der Bevölkerung gebrochen.
Durch die Krisen werde die Welt immer komplexer, wodurch des Menschen gebe, die die „Einfachheit“ und „Sicherheit“ suchten, indem sie sich in den Extremismus flüchten. Die durch die Krisen verunsicherten Menschen, müsse man versuchen durch Gespräche zum Umdenken zu bringen. Denn die Welt sei international verflochten und nur durch Zuwanderung Deutschland ist die langfristige Sicherung des Wohlstandes in Deutschland möglich, was zum Beispiel die Impfstoffentwicklung durch das Gründerpaar des Biotechnologieunternehmens Biontech, Ugur Sahin und Özlem Türeci, zeige.
Das Hauptaugenmerk in Freys Vortrag war die wesentlichen „deutschen Lebenslügen“ aufzudecken. Eine entscheidende Lüge, der die Politik und Wirtschaft in der Vergangenheit erlegen sei, so Frey, sei anzunehmen, Putin habe sich über die Zeit den demokratischen Werten angenähert. Der Konflikt in Georgien, die Angriffe in Syrien durch die russische Luftwaffe sowie die Einnahme der Krim 2014 und nun der Einmarsch in die Ukraine, haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Im Wesentlichen benannte Frey die Fixierung auf preiswerte Energie und die Ignorierung der wahren Interessen Russlands, die Fokussierung auf China und die Auslagerung der deutschen Sicherheitspolitik an die USA, um die deutsche Wirtschaft zu stärken, als die drei großen deutschen „Lebenslügen“, denen es sich nun zu stellen gelte.
Die Überwindung dieser Lügen erfolge bereits durch den schnellen Aufbau der Flüssiggas-Terminals an der deutschen Küste, die Unterstützung der Ukraine durch humanitäre Hilfen vor Ort und durch die Lieferung von Waffen und nun auch mit Kampfpanzern und die Bewilligung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro zur adäquaten Ausstattung der Bundeswehr. Frey appellierte, die Abhängigkeit von China zu verringern, indem sich Deutschland bei der Rohstoffgewinnung und -Verarbeitung, Güterproduktion und Arbeitsleistung breiter aufstelle. Zudem merkte Frey an: „Wir müssen China mit mehr Selbstbewusstsein gegenüber treten“, da Deutschland zum Beispiel in der Corona-Krise gezeigt habe, dass es diese Krise im Vergleich zu China besser meistern konnte.

Abschließend sagte Frey, dass noch unklar sei, wie der Krieg in der Ukraine ausgehe, es sich aber abzeichne, dass kein schnelles Ende des Krieges in Sicht sei. Klar sei jedoch, dass Putin sein Ziel der schnellen Einnahme der Ukraine bisher nicht erreichen konnte. „In Deutschland sind die Menschen, die an die Demokratie glauben, in der Mehrheit“ so Frey und er resümiert, „Deutschland ist stark genug, seine Lebenslügen zu überwinden“.

Der Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz ist der größte Neujahrsempfang der regionalen Wirtschaft in Deutschland. Nirgendwo sonst treten so viele landesweite und regionale Wirtschaftsinstitutionen mit einer gemeinsamen Veranstaltung an die Öffentlichkeit wie die 14 beteiligten Kammern aus Rheinland-Pfalz. Zusammen vertreten sie über 100.000 Unternehmen aller Branchen mit mehr als 400.000 Beschäftigten unterschiedlichster Berufe.

Hauptredner Dr. Peter Frey, ehemaliger, langjähriger ZDF-Chefredakteur und TV-Journalist mit seiner Keynote "Zeitenwende und deutsche Lebenslügen". Foto: Kristina Schäfer
Die Kammerpräsidenten mit der Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Gespräch über die Energiekrise
Die Kammerpräsidenten Joachim Rind, Architektenkammer (2.v.l.), Peter Hähner, IHK Rheinhessen (2. v.r.), Jürgen Matheis, Landesärztekammer (r.) mit Malu Dreyer (Mitte) und Moderator Markus Appelmann (l.). Foto: Alexander Sell, IHK Rheinhessen.
Gruppenbild der Kammerpräsidenten und -Geschäftsführer mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Gastredner Dr. Peter Frey. Foto: Kristina Schäfer
V.l.: Peter Hähner, Günter Jertz (Hauptgeschäftsführer IHK Rheinh.) , Martin Böhme (Geschäftsführer IngK RLP), Dipl.-Ing. T. Gries (AK-Hauptgeschäftsführer), Joachim Rind und Dr.-Ing. Horst Lenz (Präsident IngK RLP). Foto: Alexander Sell.
Martin Böhme im Gespräch mit Jutta Schmidt, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, beim anschließenden Empfang. Foto: Kristina Schäfer

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