Ingenieurbüros kämpfen ums Überleben

Dr.-Ing. Horst Lenz, (Präsident) | Dr.-Ing. Klaus Siekmann, (Vorstandsmitglied) | Dipl.-Ing. (FH) Peter Strokowsky, (Vorstandsmitglied)

Viele Ingenieurbüros sehen sich – auch unabhängig von der Coronakrise – in absehbarer Zeit mit massiven wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert:

Der weit überwiegende Anteil der öffentlichen Auftragsvergaben in Deutschland liegt unterhalb der Schwellenwerte. Das aktuelle Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich benachteiligt insbesondere kleine Büros, da die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen derart komplex und kostenintensiv ist, dass der erforderliche Aufwand in keinem Verhältnis zur Auftragssumme steht.

Hinzu kommt, dass aufgrund der derzeit ungewissen Honorarsituation, bedingt durch den Wegfall der Mindest- und Höchstsätze der HOAI, das Preisdumping einiger Kollegenbüros einen Höhepunkt erreicht hat, der absolut besorgniserregend ist. Auch die öffentliche Hand priorisiert häufig falsch: Statt vorrangig auf Qualität zu setzen, entscheidet oftmals nur noch das billigste Angebot bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Es gibt zahlreiche Ingenieurbüros, die über Jahrzehnte ein gutes und enges Vertrauensverhältnis zu ihren öffentlichen Auftraggebern aufgebaut haben und lange haben beide Seiten zufriedenstellend miteinander gearbeitet. Die neue Honorarsituation gemeinsam mit den letztjährigen Entwicklungen im Vergaberecht baut nun nicht mehr auf dem Vertrauen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer auf, sondern in erster Linie auf dem günstigsten Preis. So können sich einige Billiganbieterbüros kaum vor Aufträgen retten, während andere Kollegen sprichwörtlich „baden gehen“. Hier appellieren wir auch insbesondere in diesen Zeiten an die Solidarität mit unseren Kollegen. Die jetzige Entwicklung ist so nicht hinzunehmen. Laut einer Studie der Universität Trier verzeichnen aktuell rund 20 Prozent der solo-selbständigen Ingenieure und Architekten so wenig Umsatz, dass sie befürchten, am Jahresende insolvent zu sein. Erste namhafte Ingenieurbüros haben bereits jetzt Insolvenz angemeldet.

Fairer Wettbewerb ausschließlich über Leistungswettbewerb

Ein fairer Wettbewerb lässt sich ausschließlich über den Leistungswettbewerb realisieren. Alle staatlichen Ebenen (Land, Kreise, Kommunen), aber auch die Ingenieurinnen und Ingenieure untereinander, sind gefordert, Preisdumping einzustellen und aktiv zu verhindern. Sollte die Fairness unter den Anbietern weiterhin ausbleiben, raten wir Mitbewerbern zu juristischem Beistand, um die Auskömmlichkeit eines anderen Angebots prüfen zu lassen – mit möglicherweise fatalen Konsequenzen für den Billiganbieter. Unterstützung hierbei erhalten Mitglieder von der Honorar- und Vergabe-Informationsstelle (HVI) der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz unter hvi(at)ing-rlp.de.

Auch in Bezug auf die Digitalisierung kündigt sich bereits seit geraumer Zeit ein Paradigmenwechsel in der Baubranche an. Mit Hilfe von „Building Information Modeling“ (BIM), einer als „digitales Planen und Bauen“ bezeichneten Methode wird das Planen, Ausführen und Bewirtschaften von Gewerken mit Hilfe von digitalen Lösungen optimiert. Möchte man langfristig am Markt bestehen, kommt man an der neuen digitalen Form des Bauens kaum vorbei. Das integrierte und kontinuierliche Arbeiten an einem 3D-Modell des tatsächlichen Bauprojekts fördert die lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, bringt jedoch auch anfängliche Hürden mit sich. Wer mit BIM arbeiten möchte, muss zunächst nicht unerheblich investieren: die technische Implementierung der Software und eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter bzw. Einstellung von Fachpersonal haben ihren Preis. Die Erwirtschaftung dieser Ausgaben bleibt aufgrund aktueller Honorarregelungen allerdings fraglich.

Angemessene Gehälter als Grundvoraussetzung für qualifizierte Mitarbeiter

Die Attraktivität der Tätigkeit in Ingenieurbüros für Mitarbeiter und für Büronachfolger ist nicht zuletzt auch vom finanziellen Anreiz abhängig. Bei einer ungenügenden Einnahmesituation wegen unauskömmlicher Honorare können keine attraktiven Gehälter gezahlt werden. Angemessene Gehälter sind jedoch Grundvoraussetzung für eine langfristige Bindung von qualifizierten Mitarbeitern.

Die Berufswahl von jungen Menschen wird zu einem großen Teil auch von den Verdienstmöglichkeiten beeinflusst. Der Ingenieurberuf sollte daher neben einem positiven Image auch finanziell attraktive Perspektiven bieten können. Insbesondere in Ballungsräumen sind sowohl die Lebenshaltungskosten der Mitarbeiter als auch die Betriebskosten der Büros als hoch einzustufen. Die Attraktivität der Ballungsräume konkurriert entsprechend mit den Vorzügen des ländlichen Raumes. In ländlich geprägten Regionen sollten junge Leute mit regionalem Bezug bereits möglichst früh über Schul- und/oder Hochschulpraktika bzw. Abschlussarbeiten (ggf. in Kooperation mit den Hochschulen) in den Bürobetrieb eingebunden werden. Auf diese Weise generiert man auch im ländlichen Raum hochqualifizierte Nachwuchskräfte mit regionaler Verwurzelung und enger Bürobindung. Gleichzeitig wird das Dorfleben durch das Engagement der jungen Leute in örtlichen Einrichtungen gestärkt und einem Ausbluten der ländlichen Regionen entgegengewirkt – ein Paradebeispiel gelebter Nachhaltigkeit!

Szenarien einer Überlebensstrategie

Grundsätzlich ist für Ingenieurbüros innerhalb der zu erwartenden Rahmenbedingungen eine individuelle Entwicklungs- bzw. Überlebensstrategie zu entwickeln. Einige Beispiele:

   A. Spezialisierung und Alleinstellungsmerkmal

   B. Vernetzung und fachübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Büros

   C. Zusammenschluss zu fachübergreifenden Einheiten z.B. Partnerschaftsgesellschaft,
       GmbH oder Consulting.

Die Variante A findet Aufträge auch als Subunternehmer oder Zuarbeiter zu den Varianten B und C und dürfte für Kleinbüros darstellbar sein. Die Varianten B und C kommen dem Trend zur Vergabe an Unternehmen mit nur einem Ansprechpartner entgegen, der sich immer deutlicher abzeichnet. Bei internationalen Vergaben haben die Varianten A und C gute Chancen.

Unter Berücksichtigung der möglichen Entwicklung der Parameter

  • Digitalisierung,
  • Honorarregelungen,
  • Vergaberecht und -praxis,
  • Konjunkturentwicklung,
  • Nachwuchsgewinnung/Personalsituation

sollte jedes Ingenieurbüro ein Szenario entwickeln und entsprechende Weichen für die Zukunft stellen. Dass hierbei auch und vor allem betriebswirtschaftliche Betrachtungen einfließen müssen, sollte Ingenieure nicht abschrecken, sondern Ansporn sein, sich mit der künftigen Entwicklung auseinanderzusetzen.

Dr.-Ing. Horst Lenz, Präsident
Dr.-Ing. Klaus Siekmann, Vorstandsmitglied
Dipl.-Ing. (FH) Peter Strokowsky, Vorstandsmitglied

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